Auf den Spuren des Eispapstes Willo Welzenbach macht sich eine Austro-Italienische Expedition auf den Weg in die Hohen Tauern.

Weil dies für uns derzeitige Wahlflachländler aus Graz leider doch eher weit und hoch ist, beschließen wir vor dem eigentlichen Ziel der Expedition eine kleine Akklimatisations- und Aufwärmrunde zu drehen. Dabei denken wir wie immer an Willo: Wie hat sich wohl der Münchner auf seine zahllosen Expeditionen im bayrischen Flachland adäquat vorbereitet? Von gezieltem Training, wie es heute bei sämtlichen Profi-Bergsteigern und Sportlern üblich ist, war früher wenig bekannt. Außerdem musste er nebenher auch noch irgendwann seine Dissertation Untersuchungen über die Stratigraphie der Schneeablagerung und die Mechanik der Schneebewegungen nebst Schlussfolgerung auf die Methoden der Verbauung verfassen...

Immerhin lässt dieser Titel auch den laienhaften Leser vermuten, es habe irgendetwas mit Schnee zu tun und könnte doch im Entfernten für Expeditionen in Schnee und Eis von Nutzen sein. Auch wenn der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ja bekanntlich in der Theorie kleiner ist als in der Praxis.

Nachdem es doch etwas aufwändig erscheint, als Vorbereitung für die Tour eine ganze Dissertation zu verfassen, beschließen wir uns etwas praxisnäher am (auch örtlich näheren) Hochkönig vorzubereiten. Wir vermuten zwar, dass Willo kein großer Fan von Klettersteigen gewesen sein dürfte, dennoch bietet sich für uns als Aufwärmtour eine Überschreitung des Hochkönigs gut an. Und wenn sich die Wahlgrazer schon einmal so weit in den gebirgigen Westen vorgewagt haben… Von Dienten am Hochkönig startend gehen wir über den Königsjodler-Klettersteig hinauf zum Hochkönig-Gipfel (2941 m), wo wir sogar schon Gletscherluft schnuppern dürfen.

Der ein oder andere Königsjodler kann bei diesem Ambiente schon mal über die Lippen huschen.

Über die Startzeit der Tour nach der langen Anreise hüllen wir uns wohl lieber in Schweigen. Willo wäre gewiss ein Verfechter des frühen Aufbruchs vor dem Morgengrauen – da wo das Eis eben noch am stabilsten ist. Dafür sind wir fast allein in dem normalerweise stark frequentierten Klettersteig und werden mit wunderbaren Aussichten (auch schon auf unsere zukünftigen Ziele) belohnt. Vom Gipfel geht es Richtung Osten, vorbei an der mächtigen Torsäule, die uns von zukünftigen Klettertouren träumen lässt, bis zum Arthurhaus. Unsere Stirnlampen weisen uns auf den letzten Metern den Weg. Willo wäre hier wohl einfach der Nase gefolgt. Elektrische Stirnlampen gehen zwar auf die 1920er Jahre zurück, waren damals aber noch schwer und energiehungrig. Im Bergsport fanden sie deshalb erst später, ab den 1970er Jahren, Verwendung. Müde und doch sehr motiviert und voller Vorfreude blicken wir auf die bevorstehende Überschreitung!

Unser Vorbild, Willo Welzenbach, ist zusammen mit Fritz Rigele als Erstbesteiger der Wiesbachhorn-Nordwestwand und im Zuge dessen für die Erfindung der Eishaken bekannt. Diese bildeten die Basis für die heutzutage eingesetzten Eisschrauben und ermöglichten den Bergsteigern der 1920er bisher unbezwungene Eiswände zu besteigen. Eigentlich wären wir am liebsten seinen genauen Spuren gefolgt, doch akribische Recherchen und ein simpler Blick auf die genannte Nordwestwand lassen uns bald von dieser Mission abweichende Pläne entwerfen: Dort, wo zur Zeit Willos noch eine mächtige Eiswand samt Eiswulst aufragte, sieht man heute eine beinahe schneefreie, geröllige und brüchige Nordwand. Die Begehung erscheint uns nicht sehr ratsam.

Die Wiesbachhorn NW-Wand: 1961 während (links) und nach (mitte) der erfolgreichen Besteigung. Wo ist das Eis heute (rechts)?

Aber wie auch zur Zeit der großen Pioniere Flexibilität eine geforderte Tugend war, beschließen wir einen anderen, nicht minder spektakulären, Aufstieg zu wählen: Von Ferleiten an der Glocknerstraße steigen wir hinauf zur Schwarzenberghütte. Eigentlich ein gemütlicher Aufstieg zu einer netten Hütte an einem idyllischen Plätzchen. Beim Aufstieg mit Pickel, Steigeisen, Seil und anderem Krimskrams im Rucksack steigt jedoch sogleich unsere Bewunderung für jene alten Bergsteiger*innen, deren Ausrüstung ein Vielfaches von unserem Gewicht gewogen hat. Zudem standen oft keine Schutzhütten für Übernachtungen zur Verfügung. Wir genießen die schöne Lage mit Blick auf die Hohe Dock und vernehmen das ein oder andere störende Aufjaulen eines Motorrades auf der Glocknerstraße. Das innovative Konzept der Schwarzenberghütte (Freiwillige als Hüttenwirte für je eine Woche) sorgt für ausreichend Gesprächsstoff. Nach der Nacht im kleinen Lager der Hütte, begeben wir uns am folgenden Tag endlich in alpine Gefilde. Bald nach der Hütte begegnen wir dem ersten Gletscher – dem Hochgrubenkees – und gehen als Seilschaft über die steile Gruberscharte zum, wie eine Raumfähre anmutenden, Gruberschartenbiwak.

Am Ende des Steilstücks im Hochgrubenkees.

Hier tun sich uns erste Blicke auf die großen weißen Flächen des Großvenedigers auf und das Euphorie-Level steigt. Weiter geht es über den eisfreien Weg auf die Klockerin (3422 m). Von diesem Gipfel haben wir uns wenig erwartet, doch die Aussicht zu den leuchtenden Kapruner Stauseen auf der einen und zum Glockner und seinen Trabanten auf der anderen Seite, lässt die Begeisterung weiterwachsen. Nun erkennen wir auch bereits unser gemeinsames Ziel mit Willo: das Wiesbachhorn. Doch dazwischen müssen wir noch den Hinteren Bratschenkopf (3413 m) überqueren. Auch hier erwarten uns Eis, Schnee und schöne Aussicht. Beim Abstieg wünschen wir uns Willo mit seinen Eishaken herbei. Den richtigen Weg etwas verfehlt, geht es steiler bergab als gedacht. Nach dem Abenteuer kommt uns der schnee- und eisfreie Weg auf den Wiesbachhorngipfel (3564 m) umso mehr wie ein Spaziergang vor.

Atemberaubende Tiefblicke vom Gipfel des Wiesbachhorns.

Noch einmal genießen wir das Panorama, während von Norden immer mehr Wolken aufziehen und uns teilweise nur kleine Fenster Durchblick gewähren. Unsere Gedanken schweifen wieder zu Willo Welzenbach. Wie musste es für ihn gewesen sein, nach all den Strapazen und – wie wir aus seiner Biografie erfahren haben – Streitigkeiten und Konkurrenzkämpfen nun als erster die Nordwestwand durchstiegen und somit eines seiner hochgesteckten Ziele erreicht zu haben?

Beim Abstieg: Bloß nicht in den See fallen!

Wäre er schockiert über die mittlerweile fast zu einfache Erreichbarkeit dieses hohen Gipfels und die Menschenmassen, die über den nunmehr beinahe schneefreien Kaindlgrat von den Kapruner Hochgebirgsstauseen hier hinauf spazieren? Oder würde es ihn freuen, dass es immer mehr Menschen gibt, die wie er die Berge für sich entdeckt haben und genießen? Mit ziemlicher Sicherheit wäre er jedenfalls erschrocken über den eisfreien Zustand “seiner” einstigen Eiswand, ein unübersehbares Zeugnis des bereits weit fortgeschrittenen Klimawandels. War Willo damals noch auf der Suche nach den letzten ungelösten Problemen der Alpen, so werden wir wohl bald auf der Suche nach den letzten Gletschern der Alpen sein. Würde ein “Zeitzeuge” wie Welzenbach es schaffen, die Menschen endlich zum Umdenken zu bewegen?

Das Heinrich-Schwaiger Haus mit Willos Gedenktafel.

Wir lassen unsere Blicke noch einmal durch die beeindruckende Gletscherwelt schweifen und machen uns nachdenklich auf den Weg über den besagten Kaindlgrat und vorbei am Heinrich-Schwaiger-Haus zu den Hochgebirgsstauseen, von wo uns ein Bus hinunter nach Kaprun bringt. Beim heuer nicht geöffneten Heinrich-Schwaiger-Haus entdecken wir noch etwas Interessantes: Hier erinnert eine große Gedenktafel an “Dr. Willi Welzenbach, Vorstand der Sektion München und Hüttenwart des Heinrich-Schwaiger-Hauses”. So werden noch viele vorbeigehende Bergsteiger*innen an den als “Eispapst” bezeichneten Erstbesteiger der Wiesbachhorn-Nordwestwand und Erfinder des Eishakens, Willo Welzenbach, erinnert werden. Vielleicht fragt sich auch der ein oder andere, was denn mit den Eismassen passiert ist...

Willkommene Abkühlung nach der langen Tour.

Diese Unternehmung wurde durch die Alpenvereinsjugend Steiermark unterstützt. Herzlichen Dank dafür!